Riccarda Novello hat in den Jahren 2002-2005 einige der Gedichte Paul Wührs ins Italienische übersetzt. Diese Übersetzungen stellen wir mit freundlicher Genehmigung der Autorin digital zur Verfügung.
Riccarda Novello hat in den Jahren 2002-2005 einige der Gedichte Paul Wührs ins Italienische übersetzt. Diese Übersetzungen stellen wir mit freundlicher Genehmigung der Autorin digital zur Verfügung.
Paul Wühr: Das Falsche und die Lüge. (Wiener Vorlesungen, Teil 1)
Paul Wühr: Authentizität und Fiktion. Über das O-Ton-Hörspiel. (Wiener Vorlesungen, Teil 2)
Paul Wühr: Anmerkungen zur Poesie. (Wiener Vorlesungen, Teil 3)
Der Text richtet sich nach:
Paul Wühr: Das Lachen eines Falschen. Wiener Vorlesungen zur Literatur. Mit Bildern von Jürgen Wolf. München (K. Kieser Verlag, écart 1) 2002.
Wir danken dem Verlag für die Genehmigung der Wiedergabe.
Wie er, der Rhetor – nach Plato: der Fälscher -, es denn gerne hätte, fragt sich dieser in der Öffentlichkeit und erwidert: falsch, entsprechend dem Verdikt, und von Anfang an in veröffentlichter Ambivalenz; schwankend also oder schaukelnd, dann und wann auch rotierend: weil es sich um die Wörter dreht. Vor allem dreht es sich hier um das Wort: falsch, wenn ein Falscher spricht, und ein solcher sagt zuerst einmal, daß er ein Falscher nicht bleiben darf, und zwar in jedem Fall, weil er sonst ein richtiger Falscher zu werden droht: und damit wäre er etwas Richtiges geworden, was dem Falschen nur schlecht stehen kann. Stehenbleiben kann ein Falscher nicht, wie gesagt, auch nicht im Falschen: er muß in Bewegung bleiben, er kann sich nirgendwo niederlassen in seiner Rede, die, wenn sie die schwankende, schaukelnde oder gar rotierende Rede ist, von sich sagen kann, sie sei Poesie, oder bescheidener: so wie sie in etwa sei auch die Poesie, nämlich etwas Falsches. Weiterlesen
Auch in dieser dritten Vorlesung wird auf einen geordneten Vortrag Verzicht geleistet werden müssen – nicht unbedingt aber auf Zusammenstöße, Überschneidungen, Blindstellen, Mißverständnisse, Ausfälle, Fehler -, auf Fehler insbesondere und überhaupt auf ganz Falsches schon gar nicht; im übrigen auch sonst nicht. Da wäre ich also wieder bei der Poesie, meinem Thema. Mit ihm will ich mich, stotternd im Geiste des Magus in Norden: mit der ursprünglichen Unordnung – deren Herstellung mit Sicherheit mißlingen wird (ein heuchelndes Futur: denn das wußte ich bei der Abfassung dieses Satzes schon) -, die aber mein erster und fortlaufender Fehler sein muß, da ich mich noch nicht im Stande der restlosen Unvollkommenheit befinde – in meine Gedankengänge verirren. Weiterlesen
EINLEITUNG
In Walter Gronds Essay-Sammlung Der Erzähler und der Cyberspace, einer kritischen Sichtung medien- und literaturtheoretischer Ansätze in ihrer gesellschaftlichen Relevanz, markieren die Autorpersönlichkeit und das Werk Paul Wührs einen besonderen Ort auf der Streckenkarte in eine Netzwerkkultur:
Nach Grond vollendet die Poesie Paul Wührs in der Vorwegnahme den Anspruch der Hypertextualität (‚Satzrisse‘, ‚Verknotungen‘, ‚Hierarchiezusammenbrüche‘, ein Rhizom im Deleuze’schen Sinne) und bleibt als Poesie ‚ausser Zweifel‘. So zeigt sie sich auch unbeeindruckt vom Wechsel der Techniken und in kühner Geschmeidigkeit wandelbar (vgl. die Paw-Stimme des Tagebuch-Eintrags Paul Wührs). Prekär wird die Verortung des Werks in der Charakterisierung von Salve Res Publica Poetica – parallel zu Finnegans Wake – als ‚Totalereignis‘. Hier wird es für Grond als Bruch pointiert zum Dreh aus einer in den Möglichkeiten positiv verstandenen ‚Sackgasse‘ hin zu erneuten ‚Selbstermächtigungen‘ des Erzählens und ‚Geburt des Autors‘ (vgl. die Text-Auszüge aus Cyberspace).
Gronds Vorstellungen einer ‚dritten Kultur‘ vertreten in besonderem Maße einen rezeptionsästhetischen Anspruch: »Netzwerkkultur beinhaltet all die prägenden Momente der Moderne und Postmoderne, verstärkt und vollendet sie – die Technisierung der Sinne, die Umgestaltung von Raum und Zeit, die Auflösung des Meisterwerks gerade im Moment, als es am meisten gilt. Was zum revolutionären Kulturwandel führt, sind aber nicht die Maschinen, sondern deren Benützer – das Publikum, das seinen Rang einfordert.« (Cyberspace, S. 40 ) Weiterlesen
LE PIERLE: 20. Febbraio 1990, Martedi
PAW
Wäre Poesie von dieser Welt, dann stürbe sie in jeder Generation. Dann hat Gutenberg in Mainz damals ihren Totenschein gedruckt in Metallbuchstaben. Das glaubt, wer sie in Zusammenhang bringt mit wechselnden Techniken ihrer Konkretion. Die Leute sollten sich nicht derart aufpausen. Wenn Neues Altes vernichtet, war dieses Alte keine Poesie. Diese stirbt mit keiner neuen Erfindung. Erfindungen sterben. Was bleibt, ist Poesie, in welcher Erfindung auch immer sie auftritt, diese bleibt mit ihr am Leben. In diesem amüsiert sich die Poesie ganz besonders mit ihren Todesanzeigen. Andererseits macht es ihr auch Spaß, wenn Technik sie verwertet, und sie hat nichts dagegen, wenn ein Heroe ein elektrisches Format bekommt, das ihn jedem Gartenzwerg gleichstellt. Im Hightech bleiben Gartenzwerge unter sich. Es verhält sich doch so: Die Poesie bekommt es niemals mit der Technik zu tun, aber diese mit ihr. Sie wälzt sich nicht um. Sie selber ist Revolution. Sie ordnet aber diese nicht an. Und niemand und nichts, auch keine Ordnung. Das macht sie wenig beliebt. Sie sorgt sich aber gar nicht um die Liebe. Und was ihre Liebhaber angeht, da lobe ich aus der Theologie den Begriff heim in die Poesie, der hier gilt: Auserwählung. Der Augustinus muß hergeben, was er einmal gestohlen, damit sich die große Menge in geziemendem Abstand hält, wenn Poesie ihre Auftritte hat. Sie selber hat keine ungeziemende Sehnsucht nach weiteren Liebhabern. Ihr genügt, was prädestiniert ist. Sie ist keine Heimat. In sie kehrt man auch nicht zurück. Dort ist man schon immer gewesen oder wird niemals dort sein.
Erstveröffentlichung unter www.paul-wuehr.de, 2000
PAUL WÜHR
Le Pierle, 15.11.98
Lieber Walter,
jetzt habe ich Deine Feinde so viele schlimme Sachen über Dich sagen hören – in »Der Soldat und das Schöne«– daß ich am liebsten selbst gegen sie schriebe. Ganz unfaßlich ist das. Soviel (Bairisch) Hinterfotzigkeit darf es doch nicht geben. Jetzt liest Inge; auf mein Erzählen hin hat sie sich entschlossen: eine Dokumentation über die Autorenbuchhandlung zu schreiben. Du hast ihr Mut gemacht. Sie hat in ihrer Krisenzeit in München Grazian gelesen. Ich erinnere. Sie hatte lange Zeit auch diesen dunklen, vom Brüten finsteren Gesichtsausdruck gehabt, den ich vor Wochen bei Dir bemerkte. Da ist kein Zorn mehr, aber unheimlicher Durchblick, nur noch ein Rest von Vertrauen. Ich kann nur immer wieder und nur als Autor bestätigen, daß Du alles unternommen hast, was ich jetzt nachlesen konnte: für die Autoren. Geschrieben ist Dein Buch so direkt, daß ich in der vergangenen Woche einen Tag lang – vom Morgen bis zum Abend – beinahe pausenlos las. Schlimm quälend baust Du ein Szenarium in das andere hinein, auch ein Szenenpanorama bauend, daß man vom Text geschluckt wird: geschluckt wird sowieso viel, aber Spaß in diesem Fall beiseite. Da gibt es ja gar nichts zu lachen. Wie sich die Allmeier (S. 189) – immer mit gutem Gewissen – gegen Brand wendet – das ist ein Meisterstück. Sie kommen sich nun übrigens alle nicht schlecht vor bei aller Kabale. Soviel Gutherzigkeit bekommt Brand zu spüren. Alles Gutgemeinte läßt Du hier auftreten bis zur »an den Rändern dunkel und trocken gewordenen Mayonnaise«. Auf S. 202 oben: da wird es grell; jetzt legt diese Person los. Die Allmeier verkehrt ihre kleine Welt: damit sie handeln kann. Was ich schon andeutete, auf der vorletzten Seite dieses stählernen, dröhnenden , grollenden und nie sich weich widersprechenden Buches, kommst Du mit dem Satz heraus »ging ihm die fixe Idee durch den Kopf, ein Menschenfreund werden zu wollen«. Da muß ich befreit auflachen. So spricht ein Rächer, kein Zyniker. Lies nach bei mir: In der Poesie fließt kein Blut. Oder wie Du Dir nach diesem mächtigen Buch ernsthaft vorstellen willst, wie –.. ach was, Präsidium a. D. Schreib. Du kannst hinreißen und – her. – Wir fuhren nach dem Besuch bei Euch zu Czernin, lasen laut in seinen 15 Arabesken »Anna und Franz« – märchenhaft, liefen in den Wald zu seinem Forsthaus und redeten, auch mit Adriana, wir schauten ihre Bilder an in einem schönen, großen Arbeitsraum. Inzwischen waren wir schon wieder oben – diesmal in Deutschland. Ich sitze jetzt wieder an »Venus im Pudel« , habe ein schlechtes Gewissen, immer dann, wenn sie nur moralisch, heldisch, leidensfreundlich und vor allem rein kommen: die Menschen in den Medien und tröste mich mit einem Wachauer; der ist schon weg. Von Saskias Lösungen habe ich viel erzählt. Bei Christine ging es uns sehr gut. Das ist gut, wie schön ihr da an der Donau sitzt. Wir waren inzwischen schon oft bei Euch, wobei das Treppensteigen so wunderbar leicht »fällt«. Seid alle gegrüßt – herzlich Dein Paul
Der folgende Beitrag ist Teil einer Magisterarbeit zur Raumsemantik in Paul Wührs Luftstreichen. Die hier besprochenen komplexen räumlichen Gefüge sind nur ein Aspekt der unterschiedlichen Raumrelationen, die in Luftstreiche eine Rolle spielen.
Räumliche Komplexe wie Arena, Tribüne, Schaukel oder Laufsteg sind in den Luftstreichen wie Requisiten auf der Bühne des topographischen Raums verteilt. Dabei sind sie jedoch nicht statisch an einer oder mehreren bestimmten Stellen des Großraums München angesiedelt, sondern werden vielmehr zur Metaphorisierung poetologischer Ideen oft losgelöst von der Topographie behandelt oder zur Verdeutlichung bestimmter Sachverhalte nur für den Moment einer Szene auf der Stadtkarte manifestiert. Somit stehen sie zwischen Realität und Fiktion. Weiterlesen
Ich bedanke mich für den Franz Carl Weiskopf Preis, der für sprachkritische und sprachreflektierende Werke vergeben wird, die freilich nur im höchsten Eigensinn entstehen, weil Sprache nur mit ihm zum Sprechen zu bringen ist.
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Einen Poeten zum Sprechen zu bringen, erübrigt sich, es sei denn: er spricht vom Eigensinn der Sprache. Als Bürger kann er sich hoffentlich ausdrücken. Dann kommunziert er. Mit der Poesie hat das aber wenig zu tun.
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Er kehrt sich als Poet eigensinnig ab von einem bestimmten Sinn. Er teilt nichts Bestimmtes mit. Er bringt nicht eigensinnig sich selber zur Sprache. Diese ist es, die er eigensinnig dazu bringen will: sich so eigensinnig wie nur möglich aufzuführen.
Paul Wühr – Strategien der ‚Wissenspoesie‘
Internationale Tagung zum 85. Geburtstag von Paul Wühr
im Deutschen Literaturarchiv Marbach
29.11.2012 – 30.11.2012