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Walter Grond: Der Erzähler und der Cyberspace. [Textauszüge]. Literatur als Grundlagenforschung. Totalereignisse.

9) Literatur als Grundlagenforschung

Vom Einbruch der avantgardistischen Problematik zwar nicht unbeeindruckt, aber weiterhin auf die Autonomie des literarischen Feldes bestehend, versucht eine nachexperimentelle Literatur ein zeitgemäßes Schreiben aus der Weiterentwicklung bzw. der teilweisen Verwerfung der modernistischen Ästhetik zu begründen. Die Parallelen zu den Strategien, die Hartmann in bezug auf eine notwendige Datenkritik des Cyberspace fordert, sind augenfällig: Nachexperimentelle Dichtung nährt sich aus einem sprachkritischen Impetus.
Der Kolonisierung des Körpers durch Technik entspricht die Kolonisierung des Geistes durch Sprache. Wie Sprache den Sprechenden kolonisiert, versucht eine Literatur offenzulegen, die ihre Triebkraft aus dem Zweifel gegenüber dem Medium, in dem sie sich bewegt, bezieht und daher als das wichtigste Kriterium für das Schreiben die Genauigkeit nennt. Sprachkritik entwirft also einen Kunstbegriff, der Wissenschaftlichkeit in das dichterische Verfahren mit einbezieht. Literatur versteht sich folglich als Grundlagenforschung.
So führt etwa Ferdinand Schmatz in seiner Poesie Literatur, Kunst und Philosophie als endlose Verknüpfung vor. Er stellt eine Distanz zur Selbstbezüglichkeit der Dichtung her, indem er die Welt-Bibliothek, die ständig Interpretationen und damit Kopien erzeugt, daraufhin befragt, ob sie Sinnauslöschung oder Sinnentdeckung leistet. Er hebt die Grenzen zwischen Kunst und Reflexion im poetischen Text selbst auf, nimmt also das wissenschaftliche Urteil mit hinein in das Gedicht. Das Neue an der neuen Lyrik ist nicht nur das Hin und Her zwischen Wahrnehmung, Empfindung, Bild und Wort, sondern auch das Begehren nach Verstehen. Neue Dichtung widersetzt sich wohl dem Verdunkeln und Sinnzerstören, der Irritation und der Verhinderung von üblichem Verstehen, wie es die moderne Lyrik in der Tradition Baudelaires und Mallarmés tat. Als Dichtung bleibt sie aber dennoch einem dunklen Schreibakt verpflichtet, der stets nur die eine Hälfte des zerbrochenen Ganzen sichtbar macht, eines utopischen Ganzen, in dem Bild und Abbild zusammenfallen. In der Vollständigkeit, legen Schmatz’ Gedichte nahe, wäre die Idylle erreicht, die das Denken dem Dichter verbietet. Weiterlesen