Poesie im Cyberspace: Einleitung

EINLEITUNG

In Walter Gronds Essay-Sammlung Der Erzähler und der Cyberspace, einer kritischen Sichtung medien- und literaturtheoretischer Ansätze in ihrer gesellschaftlichen Relevanz, markieren die Autorpersönlichkeit und das Werk Paul Wührs einen besonderen Ort auf der Streckenkarte in eine Netzwerkkultur:
Nach Grond vollendet die Poesie Paul Wührs in der Vorwegnahme den Anspruch der Hypertextualität (‚Satzrisse‘, ‚Verknotungen‘, ‚Hierarchiezusammenbrüche‘, ein Rhizom im Deleuze’schen Sinne) und bleibt als Poesie ‚ausser Zweifel‘. So zeigt sie sich auch unbeeindruckt vom Wechsel der Techniken und in kühner Geschmeidigkeit wandelbar (vgl. die Paw-Stimme des Tagebuch-Eintrags Paul Wührs). Prekär wird die Verortung des Werks in der Charakterisierung von Salve Res Publica Poetica – parallel zu Finnegans Wake – als ‚Totalereignis‘. Hier wird es für Grond als Bruch pointiert zum Dreh aus einer in den Möglichkeiten positiv verstandenen ‚Sackgasse‘ hin zu erneuten ‚Selbstermächtigungen‘ des Erzählens und ‚Geburt des Autors‘ (vgl. die Text-Auszüge aus Cyberspace).
Gronds Vorstellungen einer ‚dritten Kultur‘ vertreten in besonderem Maße einen rezeptionsästhetischen Anspruch: »Netzwerkkultur beinhaltet all die prägenden Momente der Moderne und Postmoderne, verstärkt und vollendet sie – die Technisierung der Sinne, die Umgestaltung von Raum und Zeit, die Auflösung des Meisterwerks gerade im Moment, als es am meisten gilt. Was zum revolutionären Kulturwandel führt, sind aber nicht die Maschinen, sondern deren Benützer – das Publikum, das seinen Rang einfordert.« (Cyberspace, S. 40 )
Auf unserer Internet-Seite wird Ihnen ein Briefwechsel der Autoren zu den Thesen Walter Gronds als Erstveröffentlichung zugänglich gemacht. Er ist chronologisch geordnet und leicht gekürzt (privater Kontext). Der Tagebuch-Eintrag und die Briefe bilden das Zentrum des ersten Schwerpunkt-Themas unserer Internet-Seite – Medienkritik – , einen zentralen Aspekt der Poetologie Paul Wührs beleuchtend und unser eigenes Vorhaben reflektierend. Paul Wühr, Inge Poppe-Wühr und Walter Grond danke ich herzlich für das freundliche Entgegenkommen.

Zur Erweiterung der Diskussionsgrundlage sei auf Gustav Franks kritischen Abgrenzungsversuch zu einer Vergleichbarkeit von Hypertextualität/Hypermedialität und poetologischen Verfahren bei Paul Wühr verwiesen. Dazu das zentrale Zitat aus seinem Aufsatz Nach dem Ende der ‚kleinen‘ und der ‚großen Erzählungen‘: Anmerkungen zu Oralität und Gehör, Linearität und Gedächtnis im Werk Paul Wührs : »Im Augenblick ist eine zwar vernetzte oder rhizomatische, aber trotzdem nur additive Verknüpfung vorhandenen Materials zu bemerken. Dennoch ist festzustellen, daß als Ergebnis der chronologische Plazierungen verwischenden Digitalisierung eine Verknüpfung kleinster Einheiten des zerlegten Materials möglich wird, die die Unterscheidung von primärem Material und sekundärer Kopie manipulativ aufhebt. Dagegen läßt Wührs auf den ersten Blick vergleichbares Verfahren der Ersetzung linear-teleologischer chronologischer Abläufe durch Nebeneinander- und Parallelordnung im geologischen, paläontologischen, historischen, architektonischen und städtebaulichen, dialektalen und soziolektalen Zeichen-Raum der Stadt München das solchermaßen gegen übliche Logik und Rhetorik verknüpfte semantische Material nicht unberührt, sondern tastet es durch Evokation aller etymologisch möglichen und nicht-möglichen Polysemien und aller konventionell ausgeschlossenen Ko- und Kontexte an. Die dabei bevorzugten Verfahren des Bruchs der Syntax in gebundener Rede oder in synoptisch und kartographischer Zusammenordnung von Textblöcken führt zu einer semantischen Verdichtung vorgefundenen oder aus Vorgefundenem konstruierten Materials, die weit über eine hypertextuelle additive Korrelation hinausgeht. Geleistet wird mit der Kritik der sprachlichen Weltkonstitution eine Kritik bestimmter Archivierungs- und Verknüpfungsverfahren des kulurellen Wissens, ohne jedoch diese vorausgesetzte Ordnung unidentifizierbar zu tilgen.« (falsches lesen, S. 58)

Textnachweis für die einzelnen Dateien:

Walter Grond: Der Soldat und das Schöne. Roman. Innsbruck (Haymon-Verlag) 1998
Der Erzähler und der Cyberspace. Essays. Innsbruck (Haymon-Verlag) 1999
Online-Fassung auf der Homepage Walter Gronds: www.van.at/grond.

Gustav Frank: Nach dem Ende der ‚kleinen‘ und der ‚großen Erzählungen‘: Anmerkungen zu
Oralität und Gehör, Linearität und Gedächtnis im Werk Paul Wührs.
In: Sabine Kyora (Hg.): falsches lesen. Zu Poesie und Poetik Paul Wührs. Festschrift
zum 70. Geburtstag. Bielefeld (Aisthesis-Verlag) 1997. Hier: S. 51-78

Erstveröffentlichung der Zusammenstellung unter www.paul-wuehr.de, 2000